„Gendergerechtigkeit ist keine Form von Wohltätigkeit!“ Isabell Decker, Senior Consultant bei Saint Elmo’s Tourismusmarketing in München, klingt sehr bestimmt in ihrer Aussage. Als eine von mehreren Expertinnen und Experten diskutierte sie auf der ITB – einen Tag vor dem International Women’s Day – darüber, wie die Tourismuswirtschaft bessere Chancen für weibliche Karrieren bieten kann. „Ohne Diversität funktioniert in Zukunft kein nachhaltiges Unternehmensmanagement mehr“, so Decker weiter. Die Frauen jedenfalls sind nicht selbst daran schuld, dass es mit der Gender Equality in den Unternehmen so schleppend vorangeht. Dieter Janecek, Koordinator der Bundesregierung für Maritime Wirtschaft und Tourismus, „stellt dies gern klar“ und betont: „Es liegt an den Strukturen.“ Im Bewusstsein der Entscheider ist das „immerhin zum Großteil angekommen“.
So definieren Frauen Karriere
Eine zur ITB veröffentlichte Studie der Hochschule Eberswalde gibt Aufschluss, woran Organisationen arbeiten müssen. Kernpunkt ist, dass Frauen „Karriere machen“ anders definieren als Männer. Frauen wollen sich entfalten und etwas Sinnhaftes bewegen. Sie wünschen sich Anerkennung und Wertschätzung in einer psychologisch sicheren Unternehmenskultur. Und es gibt großen Nachbesserungsbedarf in Sachen Gehalt, flexible Arbeitsmodelle und Kinderbetreuung. Bei Letzterer muss auch die Politik besser als bisher unterstützen. Claudia Brözel, Professorin an der Hochschule Eberswalde und Initiatorin der Studie, zeigt sich überzeugt, dass Verbesserung im eigenen Unternehmen sofort beginnen kann. „Schauen Sie auf die Frauen in Ihren Teams, reden Sie mit Ihnen. Fragen sie: Was brauchen Sie, um Teamleiterin zu werden? Frauen denken immer, sie müssen alles können, bevor sie sich trauen.“ Ein Mann hingegen halte sich mit 60 Prozent der geforderten Skills bereits für qualifiziert.
Jan Grossmann, Head of Human Resources Central & Northern Europe bei B&B Hotels, will die eigene Führungsmannschaft mit Unterstützung der Hochschule weiblicher ausrichten. Er hat mit seiner bisher ausschließlich männlich geprägten Führungsspitze erste Ziele definiert. „Sie gehören ins Hausaufgabenheft, sonst passiert auch nichts“, sagte er. Im Vergleich zum Handel, wo er zuvor tätig war, sieht er die Tourismusbranche in der Diskussion um Gender Equality bereits offener aufgestellt. Seine Führungsriege habe schon Workshops mit dem Projektteam von Claudia Brözel absolviert. Andere sollten nun nachziehen. Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) fördert Unternehmen, die mit der Universität Eberswalde nächste Schritte gehen, um ihre Strukturen zu verändern. Lena Zell, die die aktuelle Studie im Rahmen ihrer Masterarbeit durchführte, wird als Projektleiterin dabeibleiben.
Fachkräftemangel wird sich weiter verschärfen
Dass es in Sachen Arbeitsmarkt keine Zeit zu verlieren gibt, unterstreicht Dieter Janecek mit Zahlen: 2 Mio. Stellen seien derzeit in Deutschland offen, 7 Mio. Arbeitnehmende gingen in den nächsten Jahren in Rente. Jobs im Tourismus seien zukunftsweisend und sinnstiftend, beispielsweise weil Nachhaltigkeitsthemen immer wichtiger werden. Die aktuelle Debatte in Deutschland um eine verkürzte Wochenarbeitszeit hält er hingegen für kontraproduktiv. Sein Vorschlag: „Wenn alle nur zwei Stunden mehr arbeiten würden, könnten wir am Arbeitsmarkt viel bewirken und unseren Wohlstand sichern.“ Gegenwind für diese Aussage erhält er weder auf der Bühne noch seitens des Publikums.
Jan Grossmann hebt zudem die Schlagkraft von Mentoring hervor, „damit Frauen und andere bisher benachteiligte Gruppen mutiger ihren Weg gehen können“. „Frauen müssen sich nicht nur mehr trauen, sondern Männer müssen auch offener werden“, ergänzt Claudia Brözel. Während sie sich „ganz klar“ eine Quote wünscht, hält Gitta Brückmann, Vice President Corporate Social Responsibility EMEA sowie Government Affairs Europe bei Marriott International, das für den falschen Weg. Sie ist seit 38 Jahren bei der Hotelkette tätig und konnte mit Kompetenz und Einsatzwillen punkten – und aufsteigen. Männliche Mentoren unterstützten sie stets. Klar ist aber auch für sie, dass sie Frauen besonders ermuntern und unterstützen möchte, sollten diese eher introvertiert oder zu schüchtern sein, um Karriereschritte zu fordern. „Alle Menschen müssen fühlen, dass es Möglichkeiten für sie gibt.“ Solches Vertrauen in die Unternehmenskultur entstehe über Fairness.
Ihre Tipps zum Weltfrauentag? „Man muss eine Leidenschaft für den Beruf haben, neugierig sein und sich stetig weiterbilden wollen.“ Aber am meisten hat ihr das geholfen: „Meine Mentoren haben immer gesagt, Du kannst das.“ Sie selbst bietet Frauen nun Entwicklungsgespräche und Programme an, über die sie sich weiterentwickeln können – ganz bewusst ermöglicht dies Marriott erstmals Frauen unter Frauen, um ihr Selbstbewusstsein im geschützten Raum zu stärken.
Island geht mit gutem Beispiel voran
In Sachen Female Leadership nimmt Island eine Sonderstellung ein. Dort stehen nicht nur im Tourismus Frauen an der Spitze, sondern in vielen Schlüsselpositionen von Politik und Wirtschaft. Eliza Reid, Autorin und First Lady, möchte Frauen ausdrücklich dazu ermutigen, sich gegenseitig zu unterstützen. Auch in Stellenausschreibungen könnten Unternehmen die Formulierungen weiblicher gestalten. Beispielsweise, indem sie von wünschenswerten Kenntnissen sprechen. Außerdem sollte sich jede Frau als Role Model verstehen, um etwas zu bewegen. Die Geschichte und die Erfahrung jeder Frau sei Storytelling wert, sagte sie vor mehr als 150 Frauen und Männern auf der Future-Work-Bühne der weltweit größten Tourismusmesse in Berlin.